5. Auflage | 144 Seiten | 15,50 Euro
"Alle zehn Jahre wieder kommt ein Hirn hernieder…"
Anno 1995 erschien Goethes letzten Worten »Mehr Licht !« eingedenk und wiederum bei der Deutschen Verlags-Anstalt der von keinem Geringeren wie Bernhard-Victor Christoph-Carl von Bülow alias
Loriot (1922-2011) illustrierte Fortsetzungsband »Mehr Hirn !« als Benefizbuch zur Rettung der vom Einsturz bedrohten Domkirche Sankt Peter und Paul in dessen Geburtsstadt Brandenburg an der
Havel.
»Lieber, verehrter Herr Dr. Raff, dieses Jahr darf nicht zu Ende gehen, ohne daß ich Ihnen noch einmal von Herzen gedankt habe. Nicht zuletzt durch Ihre Hilfe war es möglich, das Geld zusammen zu
bekommen, um den Brandenburger Dom fürs Erste abzusichern. Ich muß Ihnen an dieser Stelle auch sagen, daß ich keinen Menschen kenne, der wie Sie sein Können und seine Mittel so bedingungslos dort
einsetzt, wo Hilfe gebraucht wird. Das ist eine Eigenschaft, die heute selten geworden, auf die aber unser öffentliches Leben mehr denn je angewiesen ist.«
Vicco von Bülow, genannt Loriot 1996 (Illustrator von »Mehr Hirn!«)
»Mehr Hirn !« (DVA 1995) erbrachte laut Schatzmeister Otto Graf Lambsdorff bereits 1996 »über 1,25 Millionen DM« zur Rettung des Brandenburger Doms. (Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe am 1.
Advent 2015: »Der Dr. Raff ist unser größter Mäzen, der hat ja mehr gegeben als der Thyssen!« Anm.: Thyssen = Krupp + Thyssen).
Und ein (Thaddäus Trolls väterlicher Weisung folgend: »Wehe Du nimmsch des an. Das Bundesverdienstkreuz ist eine Alterserscheinung wie Glatze, Bauchschwarte und Plattfüße« nadierlich sofort
weiterverschenktes) Bundesverdienstkreuz...
Vorwort
»Ach wiederum ein Jahr(zehnt) verschwunden, ein Jahr(zehnt), und kommt nicht mehr zurück, und mehr als acht(zig) mal tausend Stunden sind weg als wie ein Augenblick !« (Johann Kaspar
Lavater)
Und was hat uns dieses Jahrzehnt seit dem Erscheinen von »Hirn I« an Freuden und Schrecken nicht alles gebracht: Weltreiche sind zerbrochen wie Porzellan am Polterabend, Ideologien zerbröselt wie
Sandstein im sauren Regen, Tyrannen, die sich doch »das große Weltgewichte« wähnten, zu einem Häufle Asche zusammengefallen, Diktatoren vermodert wie madiges Fleisch. Und dann kamen noch
Tschernobyl und Aids, der Dudelfunk und das DoofeIesfernsehen, der Tennis- und der Rinderwahn, die Bedrohung durch Sekten und Fundamentalisten, Ozon- und andere Löcher.
Nur in unserem Ländle ging alles seinen gewohnten Gang: Die Schaffer schafften, die Raffer rafften, die Räuber raubten, die Bscheisser beschissen, die Wucherer wucherten, die Bachel betonierten
und asphaltierten die Felder und Wiesen, die Ellenbogen druckten sich überall nach vorne, die Discohirnle schrumpfelten noch weiter, die Konsumidioten wurden immer idiotischer, die Schreier immer
lauter, die Stillen im Lande immer stiller, die Reichen immer reicher, die Dummen immer dümmer und mehr, die Korrupten immer korrupter, und die Kirchen wurden immer leerer und die Zuchthäuser
immer voller.
Und ein bißle wundert's einen schon, daß der liebe Gott seine Sonderanfertigung, dieses treulose Schwabenländle, nicht schon längst mit Hilfe der neuzeitlichen Nukleartechnologie in die
verpestete Luft gejagt hat.
Wir wollen nicht vermessen sein, aber möglicherweise hat ihn der seit 1985 millionenfach ergangene Ruf »Herr, schmeiß Hirn ra !« vorläufig noch von Sanktionen à la Sintflut oder Sodom
abgehalten.
Das nach diesem frommen Wunsch benannte Druckerzeugnis, das ein einziger Hilfeschrei und Schienbeinstoß gegen die heimische Beton- und Asphaltmafia, gegen die Räuber und Tagediebe, die unser
Ländle verschandeln und zerstören, gewesen ist, darf mittlerweile bei ungebrochener Nachfrage als das weltweit »meistgelesene Dialektbuch der Gegenwart« angesehen werden.
Dafür bedankt sich der Verfasser mit einem tiefen Knicks bei seiner Leserschaft, die sich geographisch vom Buckinghampalast bis zur Missionsstation in Bangladesch erstreckt und intellektuell von
wenigstens drei Nobelpreisträgern an abwärts zu jenen schlichteren Gemütern reicht, für die der Erwerb des »Hirns« die Erstanschaffung eines Buches bedeutete.
Stellvertretend für alle hohe Wertschätzung durch Rezensent(inn)en im gesamten Gebiet der alten Bundesländer sei hier an Professor Josef Eberle alias Sebastian Blau (1901-1986) erinnert, der als
klassischer Dichter lateinischer und schwäbischer Zunge keine andern Götter neben sich dulden konnte und die Arbeiten der neueren Dialektdichtung grundsätzlich mit dem Wörtchen »Schafscheiß«
bedachte. Ans Telefon geholt mit dem Hinweis auf den Namen des Anrufers, erwartete ich eine übliche Schimpfkanonade wegen falscher Interpunktion oder gar Genitive. Statt dessen erfolgte eine
viertelstündige Lobeshymne, an deren Ende ich den Gesprächspartner bat: »Also Herr Professer, des müeßet Se mr scho schriftlich gebe, des glaubt mir amol koi Sau.« Er tat dies mit einer frei Haus
gelieferten Widmung in seinem letzten Buch »Auf der Schiffschaukel«: »Für Gerhard Raff mit herzlichem Dank für sein entzückendes Gegenstück in Prosa zu meinen schwäbischen Gedichten. Sebastian
Blau.«
Der aus Preußen reigschmeckte Chefredakteur der »Stuttgarter Zeitung- meinte angesichts dieser Inschrift, unter der Voraussetzung, daß diese tatsächlich von Eberle und nicht etwa von Konrad Kujau
stamme, handele es sich hierbei um einen halben Pulitzerpreis ...
Einen besonderen Dank auch der damaligen Jury des Thaddäus-Troll-Preises. Einige Mitbürger, die der Laudatio Hansmartin Decker-Hauffs im Wilhelmspalais beiwohnten, bezeichneten diese
Veranstaltung als Sternstunde. Sie hat den Stuttgarter Stadtchronikschreiber des Jahres 1985 anscheinend so sehr beeindruckt, daß er dieses Ereignis sogar zweimal stattfinden läßt.
Herzlichen Dank auch für die Verleihung des Ordens eines »Ritters vom Krummen Balken- zwei Jahre vor dem bislang letzten Ritter Dr. h. c. Manfred Rommel, welcher bekanntlich den Buchtitel in
einem Leserbrief (StZ v. 2. 2. 1982) dem Autor geradezu aufgezwungen hat.
Mit dem Titel des neuen Buches wollen wir an die letzten Worte des in volkstümlichen Kreisen noch hie und da zitierten Dichters Johann Wolfgang von Goethe anknüpfen.
Das Gemälde auf dem Schutzumschlag stammt aus dem von Piero della Francesca zwischen 1452 und 1466 für die Kirche San Francesco in Arezzo geschaffenen Freskenzyklus, »dem vielleicht bedeutendsten
Werk des italienischen 15. Iahrhunderts« (Flaminio Gualdoni).
»Dem vielleicht bedeutendsten Denker des deutschen 20. Jahrhunderts«, Bernhard-Victor von Bülow alias Loriot, verdanken wir freundlicherweise die herausragenden Illustrationen dieses Buches.
Der Lichtgestalt unter vielen Finsterlingen, unserem Landsmann Dr. Richard Freiherr von Weizsäcker (dem es 1966 unbegreiflicherweise nicht vergönnt wurde, Ministerpräsident unseres Ländles zu
werden), danken wir herzlich für die kollegiale Erlaubnis zum Abdruck seines bisher unveröffentlichten poetischen Spätwerkes.
In Zeiten, in denen die Schwaben (immerhin der intelligenteste, der liebenswürdigste und zugleich bescheidenste unter den Stämmen Germaniens) in den Medien hauptsächlich als hirnarme Halbdackel
und/oder Kotzbrocken vorgeführt werden (dürfen?) und die Muttersprache der zwei Alberts (Magnus & Einstein) und drei Friederiche (Barbarossa, Schiller & Hölderlin) an manchen Schulen als
vermeintlicher Proletenslang ausgerottet wird, hegen wir die stille Hoffnung, ein Buch vorzulegen, über das sich die Dummen und Habgierigen ärgern, mit dem wir aber den gscheiten und guten Leuten
eine Freude bereiten. Für was sonst sind wir denn auf der Welt ?
Degerloch, den 21. Juli 1995,
am 500. Jahrestag des Herzogtums Württemberg
Gerhard Raff
Und nun - frei nach Theodor Heuss - lest mal schön !